Damals 1965: Wasenbesuch der Bisinger Jungmusiker endete in der Zelle
Eigentlich wollte Wolfram Dehner, Vorsitzender des Musikvereins Bisingen, sich mit Willi Birkle treffen, um mit diesem über die frühere Bisinger Jugendkapelle zu plaudern. Das Interview war für
die Festschrift anlässlich des 90. Vereinsbestehens, das 2017 gefeiert wird, gedacht. Doch rasch weitete sich der Kreis der damaligen Gründungsmitglieder der ersten Bisinger Jugendkapelle aus. Vier
von ihnen, Kurt Mayer, Heinrich Dehner, Willi Birkle und Hans-Jörg Mayer, trafen sich jetzt auf Einladung Dehners im Probelokal des Musikvereins. Aus gesundheitlichen Gründen hatten Hans Schellinger
und Reinhold Mayer ihr Kommen abgesagt.
Erste Proben im Wohnzimmer
Natürlich hatte es auch zuvor schon Jugendarbeit im Musikverein gegeben, aber sicherlich nicht mit solch weitsichtiger Präsenz und Kompetenz, wie von Hans Schellinger betrieben. Als erster
Jugenddirigent war Schellinger damals die treibende Kraft. Ihm lag sehr viel daran, junge Musiker auszubilden. Schellinger dirigierte dann übrigens auch von 1974 bis 1978 das große Bisinger
Orchester, war Stadtmusikdirigent in Burladingen
Kurt Mayer erinnert sich: „Nach intensiver Probenarbeit von uns vier Jugendlichen im Wohnzimmer von Carl Birkle (er war damals der Dirigent in Bisingen), bewältigten wir 1963 beim
60-jährigen Jubiläumsfest des Radfahrervereins (des heutigen Rad- und Motorsportvereins) unseren ersten offiziellen Auftritt.“ Das Festzelt stand seinerzeit auf der Wiese vom „Langa-Schilling“ beim
späteren Schöller-Anwesen am Ende der Geisenbachstraße, und fasste immerhin gut 2500 Besucher.
„In den Reihen der aktiven Bläserinnen und Bläser waren wir zusammen mit Hans Schellinger stolz auf diesen erfolgreichen Auftritt“, so Mayer. Rund 20 Jungmusiker zählte die erste Jugendkapelle,
die noch viele weitere Auftritte hatte und bei Wertungsspielen große Erfolge erzielte. Geprobt wurde in den Räumlichkeiten des Gutenberg-Kindergartens, später dann in der Klingenbachschule.
Da gab es so manche Geschichte zum Schmunzeln. Wenn „dr „Mühle-Hans“, wie der aus der Bisinger Mühle stammende Hans Schellinger genannt wurde, zu spät zur Probe erschien, wurde im und um den
Kindergarten so mancher Bossen (Schabernack) angestellt. Unvergesslich blieb der Volksfestbesuch in Stuttgart 1964. Jugendliche unter 16 Jahren durften sich nicht ohne Begleitung von Erwachsenen auf
dem Festgelände aufhalten. Die 14- bis 15-jährigen Bisinger Jungmusiker probierten es trotzdem, wurden prompt festgenommen und in eine Zelle auf dem Wasen gesteckt. Erst als Vereinschef Josef Kanz
auftauchte, durften sie gehen.
Das Weihnachtsliederspielen am Heiligen Abend forderte den Jungmusikern neben Spielfreudigkeit und Können gehörige Trinkfestigkeit ab. „Gab es doch seinerzeit wenig Geld, dafür umso mehr
Schnaps“, so Heinrich Dehner. Er schlief, endlich wieder zu Hause, gleich unterm leuchtenden Christbaum ein. Willi Birkle war weniger trinkfest, ihm wurde des öfteren schlecht. Musiziert wurde „in
weißen Nylonhemden mit Wappen und auf dem Kopf ein Schiffchen“, erzählt Hans-Jörg Mayer. Zum Repertoire gehörten natürlich das „Hohenzollernlied“, zudem Stücke wie „Military Escort“, „Jugend ist
Zukunft“ oder „Ähnchen von Tharau“.
Polizist sorgt für Ruhe
In der Region gab es nicht viele, die den musikalischen Nachwuchs so förderten wie Hans Schellinger. Die Jugendkapelle feierte ihre Erfolge und wurde gefeiert. Von einem Kritikspiel zurückgekehrt,
marschierte die Kapelle vom Gemeindehaus den Heidelberg hinunter zur „Rose“, wo sie von den Bisingern mit Applaus empfangen wurde. Das Ganze weite sich so aus, dass Polizist Klempnauer gleich
drei Mal in der Nacht für Ruhe sorgen musste. Doch es gab, wie es meist so ist im Leben, auch Neid und Missgunst, sogar in den aktiven Reihen der Musikkapelle herrschten damals Existenzängste.
Irgendwann löste sich diese erste Bisinger Jugendkapelle auf.
Vielleicht gibt es ja in naher Zukunft einen Stammtisch für ehemalige Musiker.